Dresdens "Tramfluencer" Wie aus einem normalen Dresdner ein stadtbekannter Influencer wurde

Vor sechs Jahren wurde er Straßenbahnfahrer. Von Beginn an machte er Videos aus seinem Berufsalltag. Jetzt kennt ihn die halbe Stadt.
Die Linie 2 rumpelt durch Leuben. Doch Dresdens bekanntester Straßenbahnfahrer sitzt nicht im Führerhäuschen, sondern im Fahrgastraum. Maik Zeuge hat Urlaub. Im Zweitjob als Influencer hat er allerdings nie wirklich frei.
Täglich warten in seinem Instagram-Postfach bis zu 30 ungelesene Nachrichten. Anfragen für Events, technische Fragen zu Straßenbahnen oder Fotos von Fans, die ihn im Alltag entdeckt haben. Wenn er zu lange keine Story postet, kommen besorgte Nachrichten dazu: Geht es ihm gut?
Ein Mann in der Straßenbahn dreht sich nach Maik Zeuge um. Er kennt diesen noch aus der Zeit, bevor er berühmt war. Sie hätten zusammen in der Gläsernen Manufaktur gearbeitet. Damals war Zeuges Arbeit noch eintönig. Bereits vormittags dachte er ans Abendbrot. Der ehemalige Kollege bewundert, dass Zeuge den Absprung geschafft hat. "Dein Erfolg ist, dass du bist, wie du bist", sagt der frühere Arbeitskollege zur Verabschiedung. "Bleib so."
Zeuge wird nachdenklich. Es wirkt, als könne er diese zwei Welten nur noch schwer zusammenbringen.
Ein Leben wie auf dem roten Teppich
Innerhalb von sechs Jahren hat sich sein Leben schließlich komplett auf den Kopf gestellt. Seither hatte er eine Audience beim Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Beim Semperopernball stand er am roten Teppich und fragte Promis nach ihrem liebsten sächsischen Wort. Selbst in einem Kochbuch ist er zwischen Lachsforelle mit Nussbutter und deftigem Wildgulasch verewigt – als einer der berühmtesten Sachsen.
Knapp 50.000 Menschen folgen ihm auf Instagram. Das ZDF berichtet über ihn. "Tramfluencer" nennen sie ihn. Ein Name, der mittlerweile sogar in seinem Personalausweis steht.
Was da in Zukunft noch kommen könnte? Das kann der Straßenbahnfahrer gar nicht so einfach beantworten, sind doch bereits so viele Träume wahr geworden. Er überlegt lange. Dann fällt ihm etwas ein.
"Wenn 'Montana Black' anrufen würde – das wäre der Wahnsinn", sagt er und muss selbst schmunzeln. Ein 46-jähriger Straßenbahnfahrer träumt von einer Zusammenarbeit mit einem der größten Streamer Deutschlands, der beruflich Computerspiele spielt.
Von Bildern im WhatsApp-Status zu Twitch-Streams
Angefangen hatte alles mit einer Stellenanzeige in einer Straßenbahn. Eine Stellenanzeige, die Zeuge einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. Die DVB hatte im Dezember 2018 Quereinsteiger gesucht. "Das klang immer so, als wäre es schwer, dort reinzukommen", erinnert er sich. Nach zwei Tagen Bedenkzeit bewirbt er sich trotzdem und wird eingestellt.
Während der dreimonatigen Umschulung postete Zeuge Bilder von den Straßenbahnen. Nur für Familie und Freude. Doch die wollen immer mehr über Straßenbahnen erfahren.
Irgendwann beginnt Zeuge damit, an der Endhaltestelle kurze Videos zu drehen. In den drei, vier Minuten Pause, bevor es zurückgeht. "Wenn es die Zeit zulässt, packe ich mein Handy aus und erzähle, was während der Fahrt passiert ist."
Mit den ersten Videos quält sich Zeuge noch. "Das war mir total unangenehm. Ich hab' mich verhaspelt und alles neu aufgenommen. Irgendwann habe ich gemerkt: Das muss ich gar nicht. Das bin ja ich." Sein sächsischer Dialekt wird zum Markenzeichen. "Ich kann gar nicht anders reden. Und verstellen will ich mich schon gar nicht."
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"Es gab schon Straßenbahnfahrer auf Instagram", sagt Zeuge. "Aber keiner von denen hat etwas erklärt." Also wollte er diese Lücke füllen.
Doch erst mal bleibt es bei wenigen Zuschauern aus dem Bekanntenkreis – irgendwann folgen ihm auch ein paar Kollegen. Aber so richtig seien die Followerzahlen erst geklettert, als die "Sächsische Zeitung" einen großen Artikel über ihn veröffentlichte und ihn "Tramfluencer" taufte. Heute ist er selbst auf jungen Plattformen wie TikTok oder Twitch aktiv, und aus einem Hobby ist ein Nebenjob geworden.
Zwei bis drei Stunden täglich designt er Vorschaubilder für seine Videos, liest Kommentare. Nachrichten von Fans beantworte er alle – und zwar selbst. Unterstützung von Agenturen habe er immer abgelehnt.
Wahrscheinlich ist es diese authentische Begeisterung für seinen neuen Job, warum ihm mittlerweile fast 50.000 Menschen folgen. Man kauft ihm seine Leidenschaft ab. Diese Freude am Job kann man nicht spielen.
"Jetzt fahre ich zwar auch den ganzen Tag Straßenbahn", sagt Zeuge. "Aber das ist was ganz anderes als die Routine im Job davor. Von einer Haltestelle zur nächsten kann es auf einmal komplett anders sein. An einer ärgert man sich, dass jemand die Tür aufhält und die Fahrt verzögert. Und dann steht da ein kleiner Zwerg und winkt dir zu, weil er sich freut, die Straßenbahn zu sehen – und der ärgerliche Moment ist sofort vergessen."
Mittlerweile winken ihm nicht nur Kinder zu. "Manchmal freuen sich die Muttis mehr als die Kinder, mich zu sehen", sagt er. An Haltestellen wird er erkannt, um Selfies gebeten. "Wenn es verkehrsmäßig passt und wir im Zeitplan liegen, können wir auch mal ein Foto machen."
Ich bleibe voll und ganz Straßenbahnfahrer – wenn die Gesundheit mitspielt, dann mache ich das bis zur Rente.
Maik ZEuge
Der Preis dafür: ein voller Kalender. Podiumsdiskussionen, Sportevents, Treffen mit TV-Köchen oder Treffen mit anderen Internetberühmtheiten.
Nicht nur fürs Geld – auch für den guten Zweck
Mittlerweile ist sein Instagram-Account mehr als das Tagebuch eines Straßenbahnfahrers. Dort macht er beispielsweise auch Werbung für ein Dresdner Autohaus, das als Gegenleistung ein Auto zur Verfügung gestellt hat. Neben Werbedeals für Unternehmen aus der Region nutzt er seine Reichweite aber auch, um fürs Plasmaspenden zu werben, den sächsischen Dialekt lebendig zu halten oder Geld für eine Krebsstiftung zu sammeln.
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Besonders am Herzen liegt ihm Oli, den er über die Krebsstiftung kennengelernt hat, für die er Spenden sammelt. Der 13-Jährige kämpft bereits zum dritten Mal gegen Krebs. "Seitdem, kann man sagen, sind wir ziemlich beste Freunde", so Zeuge. Sie gehen zu Dynamo-Spielen, fotografieren Straßenbahnen, besuchen das Museum.
Bei allen neuen Möglichkeiten will Zeuge seinem eigentlichen Job treu bleiben. "Ich bleibe voll und ganz Straßenbahnfahrer – wenn die Gesundheit mitspielt, dann mache ich das bis zur Rente", sagt der 46-Jährige, und: "Damit verdiene ich mein hauptsächliches Geld. Alles andere ist cool und macht großen Spaß, kann aber auch jederzeit vorbei sein."
Wer selbst den Beruf des Straßenbahnfahrers kennenlernen möchte: Am Samstag, 20. September findet zwischen 10 und 16 Uhr auf dem Betriebshof Gruna ein Ausbildungstag statt. Interessierte können etwa einen Straßenbahn-Fahrsimulator ausprobieren.
- Straßenbahnfahrt mit Maik Zeuge in der Linie 2
